Abt Suger hatte seine althergebrachte Idee vom Kirchenbau mittels eines kongenialen Baumeisters umsetzen können: dieser hatte einen neuen Raum geschaffen, indem er verschiedene, bereits entwickelte Architekturelemente miteinander verknüpfte: Über das Kreuzrippengewölbe leitete er den Gewölbeschub nicht mehr auf die ganze Breite der Mauerabschnitte, sondern auf schmale Mauerbänder, so daß sich dazwischen Fenster breit öffnen konnten. Das neuartige Strebewerk fing draußen die gewaltigen Schubkräfte ab und gab sie über die Fundamente an den Erdboden weiter. Der genial flexible Spitzbogen paßte sich jeglichen architektonischen Erfordernissen an.
Das alles hilft freilich nur dem eigentlichen Baumaterial: Die Kathedrale ist LICHT.

Technisch erreicht haben das die Baumeister des leuchtenden Mittelalters im Wesentlichen durch den Spitzbogen bzw. durch seine Transposition ins Dreidimensionale, das spitze Kreuzgrat- bzw. dann das Kreuzrippengewölbe.
Im Verbund damit hat eine andere konstruktive Neuerung diese Verwandlung der massiven Steinwand ermöglicht: das Strebewerk, das als anderes typisches Merkmal der Gotik gilt.


Beim romanischen Tonnengewölbe wurden die vertikalen und horizontalen Schubkräfte von Dach und Gewölbe gleichmäßig auf alle Wandteile übertragen, weshalb man massive Steinwände braucht, die nicht beliebig viele und große Fenster vertragen.

Das Geniale nun an den Kreuzrippengewölben ist, daß sie die Kräfte bündeln und nur an eine Stelle ableiten, so daß die Mauerteile dazwischen unbelastet sind und – eben herausgenommen werden können. Allerdings tragen dann die wenigen schmalen Wandsegmente bzw. Säulen die ganze Last und brauchen darum für den Seitenschub Verstärkung, sogar eine massive Verstärkung von außen: die Strebebögen und -pfeiler.

(Heute weiß man, daß bisweilen die Verstärkung außen gar nicht so massiv hätte sein müssen. Aber nachträglich ist man immer schlauer.)